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Die diabetische Retinopathie (Netzhauterkrankung)

Hierzulande, wie auch weltweit, ist eine dramatische Zunahme an Diabeteserkrankungen in den letzten Jahren und Jahrzenten zu verzeichnen. Deutschlandweit wird aktuell von über 7 Millionen Betroffenen ausgegangen mit steigender Tendenz. Über 90% handelt es sich dabei um Typ2-Diabetes, den sogenannten Altersdiabetes.

Aufgrund des schleichenden Beginns eines Typ2-Diabetes ist die Dunkelziffer hoch. Nach aktuellen Daten einer Mainzer Studie wissen in Deutschland über ein Viertel der Betroffenen nichts von ihrer Diabeteserkrankung. Daher liegt nicht selten schon bei Diagnose eines Typ 2-Diabetes, im Gegensatz zu Typ1-Diabetes, auch eine diabetische Retinopathie vor. Das Risiko einer diabetischen Retinopathie steigt mit der Diabetes-Erkrankungsdauer deutlich an. Nach älteren Studiendaten ist bei Typ1-Diabetes nach 20 Jahren bei über 90% und bei Typ2-Diabetes bei fast 60% mit einer diabetischen Retinopathie zu rechnen.

Auch der Schweregrad der Retinopathie und die Häufigkeit sehmindernden Komplikationen nehmen mit der Diabetesdauer zu. Diese Daten sind erschreckend, wenn auch einschränkend berücksichtigt werden muss, dass heutzutage bei generell besserer Blutdruck und Blutzuckereinstellung geringere Häufigkeiten anzunehmen sind, da insbesondere die Blutzuckereinstellung einen wichtigen Einfluss auf das Entstehen der diabetischen Retinopathie hat. Die diabetische Retinopathie ist die häufigste Erblindungsursache im Erwerbsalter in der westlichen Welt. In Deutschland erblinden noch immer zirka 2000 Patienten jährlich neu an diabetischer Retinopathie. Eine weit größere Zahl Betroffener hat schwere Sehbeeinträchtigungen, die z. B. die aktive Teilnahme am Straßenverkehr oder das Lesevermögen einschränken. Während weltweit zirka 35% der Menschen mit Diabetes von diabetischer Retinopathie betroffen sind, liegen die Schätzung für Deutschland niedriger –zwischen 10 und 20%.

Für das individuelle Risiko, eine diabetische Retinopathie zu erleiden, spielen neben Diabetes-Typ, Diabetesdauer und genetischer Veranlagung glücklicherweise auch beeinflussbare Faktoren, wie die Blutdruck- und Blutzuckereinstellung, sowie der Lebensstil (Bewegung, Nikotinkonsum etc.) eine Rolle. Dies bietet die Chance, durch Eigeninitiative das Erkrankungsrisiko zu verringern. Wenn gleichzeitig die Chance einer Früherkennung durch regelmäßige Augenkontrolluntersuchung genutzt wird, ist eine Erblindung heutzutage sicherlich zu vermeiden.

Was sagt die Diagnose einer diabetischen Retinopathie noch aus?

Es ist bekannt, dass das Ausmaß der diabetischen Augenfolgeerkrankung, insbesondere der diabetischen Retinopathie, bei Menschen mit Diabetes viel über das generelle Erkrankungsrisiko des Betroffenen aussagt, z.B. für eine Nierenerkrankung bzw. für das individuelle Risiko eines Schlaganfalles oder Herzinfarktes.

Die diabetische Retinopathie hat insofern Anzeigecharakter (Indikatorfunktion) - deshalb ist das Ergebnis der Augenuntersuchung bei Diabetes mellitus nicht nur wichtig zur Früherkennung und rechtzeitigen Behandlung der Netzhauterkrankung durch den Augenarzt, sondern es handelt sich um eine wichtige Information für den betreuenden Hausarzt und Diabetologen. Von der Information über das Vorhandensein und Verlauf der diabetischen Retinopathie können insofern wichtige Entscheidungen über die allgemeine Therapie und evtl. sinnvolle Zusatzuntersuchungen abgeleitet werden.

Diabetische Retinopathie, Entstehung , Einteilung und Verlauf

Wie verläuft eine diabetische Retinopathie und welche Folgen hat sie?
Diabetesbedingte Gefäßveränderungen der Netzhaut bestehen einerseits in typischen winzigen Gefäßaussackungen (Mikroaneurysmata), aus denen es zu Austritten von Blutbestandteilen in die Netzhaut kommen kann. Dies führt zur Schwellung (Ödem) der Netzhaut, wie auch zu kleinen Einblutungen und fettigen Ablagerungen. Dadurch wird die Netzhautfunktion beeinträchtigt. Andererseits kommt es auch zu Minderdurchblutung oder kompletten Verschluss kleiner Gefäße, wodurch entsprechende Netzhautgebiete unterversorgt werden und die Netzhautfunktion leidet. Da die Netzhaut keine sensible Versorgung hat, treten diese Schäden schmerzfrei oft zunächst völlig unbemerkt für den Patienten auf.

Mögliche Komplikationen, das Makulaödem

Treten die genannten Veränderungen in der Netzhautmitte, der sogenannten Makula auf, so spricht man von einer diabetischen Makulopathie. Eine Netzhautschwellung im Bereich der Makula wird als Makulaödem bezeichnet. Da die Makula die Stelle des schärfsten Sehens beinhaltet, kann die diabetische Makulopathie und speziell v. a. das diabetische Makulaödem zu Einschränkungen besonders des scharfen Sehens und somit des Lesevermögens und Gesichtererkennens führen. Unbehandelt droht bei Zunahme der Schäden ein bleibender schwerer Sehverlust durch unwiederbringlichen Untergang der Sehzellen und Nervenzellen der Makula.

Mögliche Komplikationen, die proliferative Retinopathie

Bei Minderversorgung größerer Netzhautanteile werden dort Wachstumsfaktoren als Hilferuf der betroffenen Netzhautgebiete freigesetzt. Diese können zu einem Aussprossen neugebildeter Gefäße, sogenannter Proliferationen, aus der umgebenden Netzhaut führen. Diese neugebildeten Gefäße erreichen jedoch keine Verbesserung der Netzhautdurchblutung, sondern wachsen über die Netzhaut bis in die gallertartige Füllung des Auges, den sog. Glaskörper. Aufgrund ihrer im Vergleich zu normalen Blutgefäßen deutlich erhöhten Brüchigkeit, stellen sie ein Blutungsrisiko dar und sind Ausgangspunkt von Glaskörpereinblutungen.

Bevor solche Proliferationen auf der Netzhaut bestehen, spricht man vom Stadium einer „Nicht proliferativen diabetischen Retinopathie“. Mit dem Auswachsen solcher krankheitsbedingter Gefäßwucherungen auf der Netzhautoberfläche beginnt das Stadium der „proliferativen Retinopathie“.

Die Unterscheidung ist wichtig, weil die Gefäßwucherungen der proliferativen Retinopathie – wie gesagt – ein hohes Risiko für schwerwiegende Komplikationen, wie Blutungen in den Glaskörperraum oder sogar Netzhautablösung bedeuten und daher dringlich behandelt werden müssen, um Sehminderung und drohender Erblindung vorzubeugen.

Kennzeichen der beiden Retinopathiestadien:

Nicht proliferative Retinopathie:

Die nichtproliferative Form ist das früher auftretende Stadium, die jedoch in eine proliferative Form übergehen kann. Erste, nur bei der Augenuntersuchung erkennbare Krankheitszeichen sind kleine, rötliche Punkte auf der Netzhaut, die so genannten Mikroaneurysmen. Diese Gefäßwandaussackungen aufgrund einer Wandschwäche schränken zunächst das Sehvermögen keineswegs ein, können aber darauf hinweisen, dass sich Schlimmeres anbahnt. Eine Zunahme der Zahl der Mikroaneurysmen ist ein Vorbote für das Auftreten weitergehender Veränderungen. Aus den geschädigten Gefäßwänden kann es zum Austritt von Blut in die Netzhaut kommen. Außerdem können sich auf der Netzhaut weißliche Fettablagerungen ("harte Exsudate") bilden. Die Netzhautgefäße weisen zunächst Schwankungen ihres Durchmessers und dann zunehmende Verschlüsse mit Sauerstoffmangelversorgung auf. Die Veränderungen treten für den Patienten meist völlig unbemerkt auf.

Proliferative Retinopathie
:

Die Minderdurchblutung (Ischämie) der Netzhaut durch die nichtproliferative Retinopathie löst oft den oben erwähnten "Reparaturmechanismus" des Auges aus. Über Freisetzung von Wachstumsfaktoren beginnt nun die für die Versorgung der Netzhaut keineswegs hilfreiche Aussproßung unreifer Gefäße, sogenannter Proliferationen. Ihr Auftreten kennzeichnet den Übergang in das gefährlichere Stadium der proliferative Retinopathie: Mit dem Augenspiegel kann der Augenarzt sie als rötliche, aus dem Netzhautniveau bäumchenartig herauswachsende Strukturen erkennen. Die Entstehung der Proliferationen geschieht ebenfalls zunächst für den Patienten unmerklich und ist nur bei der Netzhautuntersuchung erkennbar.

Um das Entstehen solcher Proliferationen auch in der peripheren Netzhaut sicher beurteilen zu können, ist eine medikamentöse Weitstellung der Pupille (Mydriasis) bei der Untersuchung unabdingbar.

 

Mögliche Folgen einer proliferativen Retinopathie

→ Glaskörperblutung
Die abnormal neugebildeten Blutgefäße (auch als Neovaskularisationen oder Proliferationen bezeichnet) und das sie begleitende Gefäßbindegewebe bleiben jedoch nicht länger im Niveau, sondern sie wachsen in den Glaskörper (die gelartige Füllung des Auges zwischen Netzhaut und Linse) hinein.

Die Gefäßneubildungen neigen zu Blutungen auf der Netzhautoberfläche und in den Glaskörperraum. Der Patient bemerkt dies meist als eine plötzlich auftretende bewegliche "dunkle Wolke" im Blickfeld. Ausgeprägte Blutungen können das Sehen auch derartig stark beeinträchtigen, dass nur noch Handbewegungen erkennbar sind. Eine Laserbehandlung ist in dieser Phase nicht möglich und die Blutung muss, wenn sie länger besteht, operativ entfernt werden.

 

→ Traktion / Netzhautablösung
Dem betroffenen Auge drohen auch durch andere Eigenschaften der Gefäßproliferationen weitere Probleme: Die in den Glaskörper einwachsenden neugebildeten Proliferationen können sich narbig verkürzen und so an ihrer Unterlage, der Netzhaut, ziehen, was man als "Traktion" bezeichnet.

Wenn hier nicht rasch ein operativer Eingriff erfolgt, kann durch den Zug die Netzhaut von der sie ernährenden Unterlage abgelöst werden. Innerhalb weniger Tage kommt es an den abgelösten Netzhautanteilen dadurch bereits zum Absterben von Netzhautzellen und zu bleibendem Sehausfall an dieser Stelle. Diese Netzhautablösung und der Umbau des einst durchsichtigen Glaskörpers zu einer von Gefäßsträngen und Verwachsungen durchzogenen grauen Masse stellt das Endstadium des Krankheitsprozesses dar. Das Sehvermögen ist nun drastisch reduziert oder völlig zerstört. Der traurige Endpunkt der diabetischen Retinopathie ist erreicht. In dieser Phase ist auch durch operative Eingriffe meist keine Sehverbesserung mehr möglich.

 


→ Augendruckanstieg (Sekundärglaukom)
Gelegentlich wachsen solche Gefäßneubildungen auch in der Vorderkammer des Auges ein und sind dann meist um die Pupille herum auf der Iris, der Blende des Auges, durch den Augenarzt erkennbar. Man spricht von einer „rubeosis iridis“. Es droht dann unbehandelt ein weiteres Einwachsen der Proliferationen in den sogenannten Kammerwinkel, in dem das Kammerwasser abfließt, welches die vordere und hintere Augenkammer ausfüllt. Dieser Abfluss wird durch die Gefäßwucherungen zunehmend verstopft und es kann dadurch zu chronischer oder auch schmerzhafter akuter Augeninnendruckerhöhung kommen. Diese zum Glück seltene Form des sogenannten grünen Stares (Glaukom) wird als rubeotisches Sekundärglaukom bezeichnet.

Ebenso wie bei anderen Formen des grünen Stares führt die Augeninnendruckerhöhung auch in diesem Fall zur Schädigung des Sehnerven, was unbehandelt zur raschen Erblindung führen kann.Ein rubeotisches Sekundärglaukom zeigt meist eine bereits ausgeprägte ursächliche diabetische Netzhautschädigung an, wodurch die Prognose des Auges in solchen Fällen besonders schlecht ist und ein rasches Eingreifen erforderlich wird.

Weitere Inforamtionen finden Sie auf der Seite des Programms für nationale Versorgungs-Leitlinien:
www.leitlinien.de/nvl/diabetes/netzhautkomplikationen